ONXT! Nadja Puttner

Nadja Puttner über ONXT!

Der Ausgangspunkt für die Arbeit an ONXT! war das eigenartige Gefühl, das mich während der Corona-Lockdowns 2020 und 2021 beschlichen hat: wie gut wir Menschen doch einerseits unser Leben auch ohne direkte Kontakte leben können, wie anpassungsfähig wir Menschen doch sind! Und: wie gut wir uns doch selbst für eine gewisse Zeit vormachen können, dass „eh alles normal“ ist! 

Während meiner Ausbildungszeit hat mich ein Stück einer damaligen Schauspiellehrerin sehr beeindruckt, in dem eine dystopische Welt beschrieben wurde, in der alles – vom Einkaufen bis zur persönlichsten Kommunikation – über Internet stattfindet und in der es daher keine physischen Kontakte mehr gibt. Was damals völlig utopisch erschien, wurde im Frühjahr 2020 plötzlich Wirklichkeit: wie viele andere saß ich wochenlang allein in meiner Wohnung, sah mich gezwungen, sogar meine Tanzklassen online zu unterrichten, und hatte große Angst davor, einkaufen zu gehen oder ein öffentliches Verkehrsmittel zu benutzen. 
Dank der technischen Möglichkeiten, Berufliches auch per Video-Call zu erledigen, blieb das Leben irgendwie am Laufen. Das unheimliche, diffuse Gefühl einer unkontrollierbaren Bedrohung von außen, wie man sie vorher nicht gekannt hatte, war aber nicht wegzuleugnen. 

Eine Frage, die mich in während dieser Zeit zu beschäftigen begann, war außerdem: Was ist jetzt eigentlich noch „echt“? Können zwischenmenschliche Beziehungen zur Gänze in den digitalen Raum verlegt werden?

Social Media rückte dank der Ausgangsbeschränkungen plötzlich in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit: Täglich sah ich das Leben der anderen - aufwendig dekoriert, verfeinert und auf dem Silbertablett serviert. Alle schienen mit der außergewöhnlichen Situation viel besser zurechtzukommen als ich, fotografierten sich selbst mit dem Lockdown-Achterl am Balkon im Sonnenuntergang, kommunizierten und flirteten über Apps, die mir mehr Angst machten, als das Virus selbst. War ich die einzige, die von Zukunftsängsten, Einsamkeitsgefühlen und einer gewissen Torschlusspanik gequält wurde? Was ist, wenn ich nie wieder auf der Bühne tanzen kann? Wenn ich nie wieder die Gelegenheit bekomme, einen Mann kennen zu lernen? Wenn der Lockdown solange andauert, bis ich alt bin? 

Echt – das war für mich schon immer das Meer. Wenn ich mir vorstelle, dass mein Körper sich der Urkraft des Meeres anvertraut, spüre ich Ganzheit, Heilung, Freiheit. Deshalb habe ich das Meer ganz bewusst als Symbol für die Sehnsucht nach dem „Echten“ ausgewählt. 

Andersens kleine Meerjungfrau war hingegen nicht geplant. Sie ist während der Proben irgendwann plötzlich aufgetaucht und hat ihren Platz in ONXT! vehement eingefordert.  
Sie symbolisiert für mich einerseits das mir nur allzu bekannte Gefühl „anders als man möchte“, „nicht richtig“, „abgetrennt“ zu sein. Andererseits steht sie für die Angst, nicht geliebt zu werden, wenn man einfach so ist, wie man eben ist. Sie nimmt für die Liebe des Prinzen schmerzhafte Veränderungen auf sich und verkauft dafür das einzige, was sie an sich wirklich mag – ihre Stimme - an die Meerhexe. 

Warum fühlte ich mich ihr so verbunden? Versuche ich nicht auch mein ganzen Leben lang auf verschiedenen Ebenen – darunter natürlich auch in meinem Beruf als Tänzerin – eine andere, perfektere zu werden oder zumindest als solche zu erscheinen? Welche Rollen spiele ich in den verschiedenen Lebenssituationen, und was davon bin wirklich ich?

Die Arbeit an ONXT! war für mich eine aufschlussreiche Reise und hat für mich bestätigt, was eigentlich schon vorher klar war: es lohnt sich, auf seine innere Stimme zu hören und ihr zu vertrauen, so unmöglich einem das oft auch erscheinen mag.
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